Sonntag, 2. Juni 2013

Nachdenkliches zum Sonntag: Schöpferische Gerechtigkeit

Schöpferische Gerechtigkeit –
 Ein frommer Wunsch oder konkrete politische Handlungsmaxime?

Ich habe mich bis vor einigen Wochen oft gefragt, wie man diese Welt ändern könne?
Die einen wollen vollkommene ausgleichende Gerechtigkeit durch die hohe Besteuerung von höheren Einkommen, die anderen wollen, dass die Zuteilende Gerechtigkeit die einzige Maxime im Wirtschaftsleben bleibt. Zuteilende Gerechtigkeit ist mit der Lohnverteilung hier gleichzusetzen. Doch beides fasst zu kurz, da sie zwei Gerechtigkeitsformen unter den Tisch fallen lassen:
1) Das jeder Mensch von Geburt an Ansprüche auf eine ausreichende Güterversorgung hat, damit er/sie den nächsten Tag erleben kann und
2) Die Schöpferische Gerechtigkeit, die neben diesen Ansprüchen und den dynamischen Prozessen eine menschliche Perspektive mit hinein bringt! Es findet sich schon in der Bibel ein Gleichnis, dass genau dies zum Ausdruck bringt.


Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, Matthäus 20, 1-16:
(nach der Übertragung der „Hoffnung für alle“ – Bibel / Markierte Stelle durch Redaktion):

1 »Mit der neuen Welt Gottes ist es wie mit einem Weinbauern, der frühmorgens Arbeiter für seinen Weinberg anwarb.
2 Er einigte sich mit ihnen auf den üblichen Tageslohn (Anmerkung: „einen Silbergroschen“ / Luther-Übersetzung oder „von einem Silberstück“/Gute Nachricht) oder „auf einen Denar für den Tag“) und ließ sie in seinem Weinberg arbeiten
3 Ein paar Stunden später ging er noch einmal über den Marktplatz und sah dort Leute herumstehen, die arbeitslos waren.
4 Auch diese schickte er in seinen Weinberg und versprach ihnen einen angemessenen Lohn.
5 Zur Mittagszeit und gegen drei Uhr nachmittags stellte er noch mehr Arbeiter ein. 
6 Als er um fünf Uhr in die Stadt kam, sah er wieder ein paar Leute untätig herumstehen. Er fragte sie: „Warum habt ihr heute nicht gearbeitet?“
7 „Uns wollte niemand haben“, antworteten sie. „Geht doch und helft auch noch in meinem Weinberg mit!“, forderte er sie auf. 
8 Am Abend beauftragte er seinen Verwalter: „Ruf die Leute zusammen, und zahl ihnen den Lohn aus! Fang beim Letzten an, und hör beim Ersten auf!“ 
9 Zuerst kamen also die zuletzt Eingestellten, und jeder von ihnen bekam den vollen Tageslohn. 
10 Jetzt meinten die anderen Arbeiter, sie würden mehr bekommen. Aber sie erhielten alle nur den vereinbarten Tageslohn. 
11 Da beschwerten sie sich beim Weinbauern: 
12 „Diese Leute haben nur eine Stunde gearbeitet, und du zahlst ihnen dasselbe wie uns. Dabei haben wir uns den ganzen Tag in der brennenden Sonne abgerackert!“ 
13 „Mein Freund“, entgegnete der Weinbauer einem von ihnen, „dir geschieht doch kein Unrecht! Haben wir uns nicht auf diesen Betrag geeinigt? 
14 Nimm dein Geld und geh! Ich will den anderen genauso viel zahlen wie dir. 
15 Schließlich darf ich doch wohl mit meinem Geld machen, was ich will! Oder ärgerst du dich, weil ich großzügig bin?
16 Ebenso werden die Letzten einmal die Ersten sein, und die Ersten die Letzten“«

Euch ist sicherlich aufgefallen, dass ich im Vers 2 neben der Übertragung des Bibeltextes aus der „Hoffnung für Alle“-Bibel auch andere Übertragungen und die Luther-Übersetzung von Luther (in der revidierten Fassung von 1984) mit dazu geschrieben habe. Das hat einen bestimmten Grund für die sozialgeschichtliche Auslegung und auch um Jesus radikale Idee des Sozialen zu verstehen, braucht man eine Vorstellung davon, um was es gerade eigentlich geht. Es geht hier wirklich um die Sicherung der Grundbedürfnisse der betreffenden Arbeiter. 


Wären die letzten Tagesarbeiter, die der Herr vom Markt holt, nicht mehr zu einem Lohn gekommen, so wäre für sie ein Mangel eingetreten. Sie hätten Hunger gehabt, ohne ihn sättigen zu können, sie hätten vielleicht keinen warmen Schlafplatz bis zum nächsten Tag gehabt, es wären auch ihre Familie in Mitleidenschaft gezogen worden und nicht zuletzt wäre ihnen damit die Sicherung ihrer Lebensgrundlagen vorenthalten worden. 

Der Herr des Weinberg, der ein Mensch mit ausgeprägten Gerechtigkeitsempfinden zu sein scheint, sieht die Not dieser Arbeiter auch mit seiner Frage: „Warum habt ihr heute nicht gearbeitet?“, denn es handelt sich in diesem Gleichnis um Tagesarbeiter, die von Tag zu Tag leben und täglich um ihr Überleben arbeiten müssen. 

Ohne Arbeit und ohne Lohn bzw. ohne Versorgung der Grundbedürfnisse wäre die Arbeitskraft der betreffenden Arbeiter am nächsten Tag nicht mehr so hoch und falls dies dann wiederum wieder „Herren“ abhalten sollte sie für sich einen Tag arbeiten zu lassen, dann begänne der Teufelskreislauf, der im schlimmsten Fall zum Tod der Tagesarbeiter führen würde. 

Viele Menschen in Deutschland glauben, dass es solche Tagesarbeiter nicht mehr geben würde bzw. das höchste der Gefühle seien Saisonarbeiter. Aber wer einmal auf den Straßen Kapstadts unterwegs gewesen ist, weiß, dass es diese Art der Arbeitsbeschaffung nach wie vor gibt. Auch wenn sie vom Staat nicht erwünscht ist und auch von der Polizei verhindert werden soll, treffen sich an vielen Vormittage schon früh die ersten Arbeiter an bekannten Straßenecken und warten, dass ein Auto mit Ladefläche anhält und sie für einen Tag irgendwelche Arbeiten machen können. 

Sie vereinbaren dann auch meist mit dem Besitzer des Autos oder des Klein-LKWs den Lohn für den Tag und es geht auch hier meist darum die Versorgung bis zum nächsten Tag sicher zu stellen. Durch solche Arbeitsverhältnisse sind Stigmatisierungen und Diskriminierungen an der Tagesordnung, da man aus diesen Arbeitsverhältnissen nur durch viel Glück wieder herausfinden kann. Genauso fühlten sich die Arbeiter, die zuletzt im Gleichnis vom „Herrn des Weinbergs“ geholt worden sind. Für sie ging es darum möglichst noch einen kleinen Geldbetrag zu bekommen, den sie eigentlich für die eine Stunde von anderen „Anbietern“ bekommen würden. 

Wie überrascht und vielleicht auch glücklich müssen sie gewesen sein, als der Herr des Weinbergs ihnen den vollen Tageslohn ausgezahlt hat. Mit diesem Tageslohn ausgestattet, war ihre Versorgung und die ihrer sehr wahrscheinlich auch vorhandenen Familie gesichert.

Für mich ist dieses Gleichnis ein sehr guter Beweis, wie neben der austeilenden und auch ausgleichenden Gerechtigkeit, die beiden anderen Gerechtigkeitsformen des Anerkennens des unumstößlichen Anspruchs auf Versorgung eines jeden Menschen und des Üben von Schöpferischer Gerechtigkeit wichtig ist. Aber lasst mich euch noch erklären, was ich mit Schöpferischer Gerechtigkeit meine. Nach der Definition von Paul Tillich, eines Theologen und Philosophen, ist Schöpferische Gerechtigkeit, die „Daseinsform der wiedervereinigenden Liebe“. Nur durch sie kann die durch die Liebe aufgehobene Trennung, sprich die Wiedervereinigung des Getrennten bewahrt werden. Dafür sind drei spezielle Handlungsformen notwendig:

1) Zuhören: Wir müssen uns auf den anderen einlassen, seine Sorgen und Nöte ernst nehmen, mit ihm zusammen leben und uns nicht gegeneinander ausspielen lassen. Wir werden erst am Du zum Ich und wer dem Du zuhört, wird sein Ich auch weiter entwickeln.

2) Schenken: Falls wir einen Überfluss haben, dann sollten wir unseren Überfluss nutzen, um Mangel aufzuheben bzw. Mangelstrukturen abzubauen.  Schenken kann man aber nicht nur im Sinne materiellem Schenkens sehen, sondern auch im ideellen Bereich, wie Zeit schenken, jemanden Raum geben, sich mit Dingen beschäftigen und last but not least auch sich beschenken zu lassen.

3) Vergeben: Die nach Tillich paradoxeste und schwierigste Form, da sie viel Selbstkontrolle und Selbsttranszendenz erfordert. Bei Gott können wir unseren ganzen Frust über Mitmenschen lassen, wir können uns ihm ganz hingeben und uns „neu machen“ lassen. In Hesekiel 36, Vers 26 heißt es:  „Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben.“ Diese Zusage gilt es ernst zu nehmen.  Für mich war diese Erkenntnis sehr prägend in der Zeit meines Freiwilligendienstes in Südafrika. Ich habe dort mit Kindern und Jugendlichen mit einer geistigen Behinderung gearbeitet und wenn ich dort nicht den Kindern und Jugendlichen Tag für Tag ihr Fehlverhalten auch vergeben hätte und jeden Tag für sich betrachtet hätte, wäre ich, glaube ich, nicht versöhnt mit diesen Kindern und Jugendlichen wieder nach Hause geflogen.

Dieser Schritt ist wichtig zu verstehen: Nur durch genaues Zuhören, der Bereitschaft zu schenken und des Üben von Vergebung ist Versöhnung  in unserer doch so zerstrittenen Gesellschaft möglich. Für unsere unerlöste Welt ist das auch eine Perspektive sich zusammen auf die Suche zu machen, wie wir mit diesem Ansatz unsere Welt ein Stück weiter in eine bessere Zukunft für alle schieben können.

Es darf kein frommer Wunsch bleiben, sondern muss unsere konkrete Handlungsmaxime als Christinnen und Christen in der Nachfolge unseres Herrn, Jesus Christus, sein!

Macht also mit!
                                                                                                                                              Visionär92