Sonntag, 28. Juli 2013

Eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Nation

Liebe Zeitgenossinnen und Zeitgenossen!


Damit hier bloß keine falschen Assoziationen aufkommen -> Ich bin gegen das Denken in „Nationalen“ Grenzen und gegen das Denken, dass wir uns als ein „Volk der Deutschen“ verstehen müssen. Ich finde es einfach falsch, Menschen durch ihre Geburt schon zu selektieren. Es ist eine unterschwellige Selektion, aber es ist eine Selektion und deswegen eine Selektion gegen die ich mich ganz eindeutig wehren werde.

Der große Martin Luther King sprach diesen Gedanken schon zum Teil aus, als er am 28. August 1963 in Washington D.C. eine bemerkenswerte Rede hielt:

»Ich habe einen Traum, dass sich eines Tages diese Nation erheben wird und die wahre Bedeutung ihrer Überzeugung ausleben wird: Wir halten diese Wahrheit für selbstverständlich: Alle Menschen sind gleich erschaffen.

Ich habe einen Traum, dass eines Tages auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können.

Ich habe einen Traum, dass eines Tages selbst der Staat Mississippi, ein Staat, der in der Hitze der Ungerechtigkeit und in der Hitze der Unterdrückung verschmachtet, in eine Oase der Freiheit und Gerechtigkeit verwandelt wird.

Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der man sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt.

Ich habe heute einen Traum!«

Martin Luther King spricht in dieser Rede natürlich vor allem die angeblichen „Nation der US-Amerikaner“ an und bleibt damit in einem von menschen-gemachten Raum. Auch wenn er „Alle Menschen sind gleich erschaffen“ sagt, geht es ihm vor allem um die Verbesserung der Situation in den USA. Ich mache ihm das nicht zu einem Vorwurf. Ich will nur, dass ihr meinen Punkt, den ich daran anschließen möchte, versteht, denn auch ich kann mich nicht komplett frei machen von meiner sogenannten „nationalen Herkunft“:

Leider Gottes, bin ich auch ich hier auf „deutschem Staatsgebiet“ geboren und habe Eltern und Großeltern, die auch auf „deutschem“ Staatsgebiet geboren sind, wobei meine Großmutter, wenn sie heute geboren wäre, als „polnische Staatsbürgerin“ aufwachsen würde. Alleine aus diesem Beispiel zeigt sich aus meiner Sicht die willkürliche Zusammensetzung einer Nation, wenn man nur von einer Gebietsnation spricht.  Aber auch die weiteren Nationenbegriffe sind für mich fast ausnahmslos als schlecht zu bewerten. Die angebliche Kulturnation, die bestimmte Werte mit Sprache verbinden, ist genauso falsch. Es ist zwar eine menschliche Eigenart dies zu tun, aber damit noch keine richtige. Auch die Geschichtsnation sehe ich schwierig, denn wieso soll ich mich als einer der in seiner Familienhistorie mehrere Missionare hatte, die sich ihrem Land und den dort lebenden Menschen, in das sie geschickt wurde, am Ende so verbunden fühlte, dass sie auch daran zerbrochen sind, dass sie das Land aufgrund von Krankheit und einer Verletzung verlassen bzw. nicht wieder hinreisen konnten, mich mehr mit der Geschichte irgendwelcher „Deutscher“ verbunden fühlen, die in Garmisch-Patenkirchen in Bayern um die Jahrhundertwende 19/20.Jahrhundert als Bauern gelebt haben und mit meiner persönlichen Familienhistorie nie in Verbindung gekommen sind. Ich will damit auf keinen Fall die persönlichen Verwicklungen meiner „Vorfahren“ z.B. mit der Ideologie des Nationalsozialismus gut reden. Mein Großvater war begeisterter „Jungvolk“ (Nazi-Organisation von 10-14 Jahre)-Führer und wollte noch kurz vor Kriegsende als gerade einmal 16jähriger Jugendlicher noch in die Waffen-SS eintreten. Zum Glück kam es nicht mehr zu seiner Einberufung im Mai 1945, da er sich da schon als Mitglied des Reichsarbeitsdiensts in „britischer“ Gefangenschaft befunden hat. Ich für meinen Teil bin froh, dass ihm und uns diese Einberufung vermieden wurde. Ich danke deswegen auch allen Soldaten aus allen Ecken und Enden der Welt, die das „Volk der Deutschen“ was sich so vor der Welt abgeschottet und sich über alle anderen gestellt hatte, in diesem grausamsten Krieg  aller Zeiten besiegt haben.

Ich für mein Teil fühle mich dort mit der Geschichte einer menschlichen Gruppe verbunden, wenn ich eine persönliche Beziehung zu dieser habe, z.B.

- zu den Bewohner des kleinen Örtchen Elim in Südafrika, da ich da 1 Jahr gelebt und gearbeitet habe,

- zu den Bewohnern des kleinen Örtchen Königsfeld im Schwarzwald, weil dort meine Großeltern jahrzehntelang gelebt und gearbeitet haben und wir nach wie vor jährlich an Ostern die inzwischen verwitwete Großmutter besuchen,

- den Bewohner der Stadt Hamm, da ich dort 19 Jahre meines Lebens gelebt habe,

- den Bewohner der wunderschönen Stadt Krakau in Polen, da ich dort einen der schönsten gemeinsamen Urlaube mit meinen Eltern verbracht habe, der mich aber auch an den Ort der größten Unmenschlichkeit: Auschwitz geführt hat, der mir gerade als noch Junge im Teenie-Alter die Wichtigkeit eines Einsatzes für alle Menschen vor Augen geführt hat,

- den Fußballspielern in Deutschland, da ich selber 9 Jahre lang Fußball in Vereinen in Deutschland gespielt habe,

- zu allen Menschen in Südafrika und Tansania, da dort meine Vorfahren gewirkt, gelebt und gearbeitet haben

- den Rugbyspielern und Vereine in Südafrika, da ich dort diesen Sport kennen und lieben gelernt habe,

- der Handballnationalmannschaft, da der Traum meines Vaters es gewesen war, Handball professionell zu spielen, dann aber leider sein Wachstum aufgehört hat,

- trotz allen persönlichen Problemen zu den Mitgliedern der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und aller anderen sozialdemokratischen Parteien in der Welt, da ich selber als 14jähriger in diese Partei in Deutschland eingetreten bin und es nach wie vor meine erste politische Heimat ist,

- allen Mitgliedern der weltweiten kirchlichen Gemeinschaft, die sich den Namen „Unitas Fratrum“ (Brüder-Unität) gegeben hat, da meine familiären Wurzeln bis zur Gründung der erneuerten Brüder-Unität in Herrnhut (Sachsen) im 18.Jahrhundert zurückreichen und deswegen eine familiäre Linie immer Mitglied dieser Kirche war und ist und es daher auch zu meiner geistige Heimat geworden ist,

- zu allen Christen in jedem Land dieser Welt, da ich mich selbst als Christ verstehe, getauft und konfirmiert wurde und ich mich in der christlichen Arbeit engagiere,

- und nicht zuletzt muss ich mich der Geschichte des Staates Deutschland verbunden fühlen, da ich selber (Stand: 28.07.2013) „deutscher“ Staatsbürger bin und damit nach außen, wie nach innen für jeden ersichtlich an meinem Pass diesem Staat angehöre, mit allen Rechten und Pflichten, mit allen Privilegien und Zwänge und natürlich auch mit der Geschichte dieses Staates.

Aber wie man an meiner Auflistung sehen kann, die ich noch um einige Punkte länger machen könnte, zeigt sich das ich nach der Definition der Nation als Personengruppe mit gemeinsamer Geschichte, ich mich nicht nur einer Nation „Deutschland“ zugehörig fühlen müsste und will, sondern allen Nationen, in denen Christen leben, besonders dann auch zu den Nationen, in denen Mitglieder meiner geistigen Heimat (Brüder-Unität), meiner politischen Heimat (Sozialdemokratische Partei) und meiner persönlichen Heimat (Familiengeschichte und persönlichen Erlebnisse) leben. Damit habe ich glaube ich schon eine Menge Nationen abgedeckt und dazu kommen noch die Nationen, denen der „deutsche Staat“ Schaden zugefügt hat, da das aus meiner Sicht ein Ausdruck der gemeinsamen Veranwortungsübernahme „deutscher“ Staatsbürger zeigt.

Gerade an diesem Punkt will ich zum Ausdruck bringen, warum ich Staatsbürgernationen per se nicht ablehne, wenn sie nicht auf irgendeinem komischen willkürlich ausgewählten Grund wie Hautfarbe, Sprache, gemeinsamer Geschichte, gemeinsamer Kultur, gemeinsamer Tradition usw. beruhen. Es liegt daran, dass wenn jeder Mensch sich nach Studien der Umwelten für eine Nation entscheidet, die ihm/ihr ein Kontakthalten mit der Familie und der Sippe, die ihm/ihr Freundinnen und Freunde ermöglicht und die ihm/ihr einen Lebenspartner oder Lebenspartnerin ermöglicht, fände ich es gut, wenn er dann in dieser Nation leben könnte. Außerdem wenn diese Nation und ihr leider oftmals auch willkürliches Staatsgebiet, die aus seiner oder ihrer Sicht die schönste Natur, die seiner politischen Überzeugung am ehesten entsprechenden Werte und/oder ihm/ihr einen sicheren Arbeitsplatz bietet. Das sind nur einige der Beweggründe von Menschen ihre geographischen Herkunftsorte zu verlassen und anderswo neu zu beginnen. Wir tun nur leider in einer doch eigentlich so globalisierten Welt so, als ob wir diesen dynamischen Prozess regulieren oder gar verhindern könnten. Für ein Stopp dieser Entwicklung müsste man alle technischen Errungenschaften zerstören. Vom Auto bis zum Flugzeug, vom Telefon bis zum PC usw.. Das will keiner! Aber dennoch geben wir uns in unserem unmenschlichen Wirtschaftssystem der Illusion hin, dass wir zunächst an unsere Nation denken müssten anstatt an alle. Ich halte dieses Denken für sehr, sehr gefährlich und es beginnt leider schon mit den ganzen „nationalen“ Klischees, die ein jeder/ eine jede von uns in seinem/ihren Kopf mit sich trägt  Gefährlich werden diese Klischess ab dem Zeitpunkt, wo wir sie für eine eigene Argumentation missbrauchen und wo wir sie für politische Ziele nutzen. 

Ich mache nun einen kleinen Sprung zu einem Theologen und Philosophen, der mir bestimmt in manchen sehr entschieden widersprochen hätte, obwohl er auch seinen geographischen Herkunftsort und da wird es nun wieder bemerkenswert schwierig den schon einzuordnen. Zur Zeit seiner Geburt war Starzeddel ein Landkreis (Guben) in der brandenburgischen Niederlausitz und damit dem Deutschen Reich zugehörig. Heute ist dieser Landkreis in einen „polnischen“ und „deutschen“ Teil gespalten. Der Geburtsort würde heute im polnischen zu finden sein, aber zu seiner Zeit war er deutsch!
Ich möchte über einen weiteren Gedanken von Paul Tillich sprechen, den ich wenn auch christlich-theologisch konnotiert, für sehr gut geeignet halte, eine anderen Zugang zu einander zu fühlen, als unüberwindbare Grenzen zu bauen, die wirklich erst fremdes entstehen lassen. Aber kein Mensch soll und darf dir fremd werden, da wir immer einen gemeinsamen Ursprung und einen gemeinsames Ziel haben. Paul Tillich zeigt das Spannungsfeld zwischen Verneinung einer Zusammengehörigkeit und des Strebens nach Wiedervereinigung des gegenseitig fremden:

„Ohne eine letzte Zusammengehörigkeit läßt sich keine Vereinigung eines Seienden mit einem anderen Seienden denken. Das einander absolut Fremde kann keine Gemeinschaft eingehen. Wohl aber strebt nach Wiedervereinigung, was sich gegenseitig fremd geworden ist. In der liebenden Freude über den Anderen ist auch die Freude über die eigene Seinserfüllung durch den Anderen gegenwärtig. Was mir aber absolut fremd ist, kann nicht zu meiner Seinserfüllung beitragen; es kann mich nur zerstören, wenn es in den Kreis meines Daseins eindringt. Darum kann die Liebe nicht als die Vereinigung des sich Fremden betrachtet werden, sondern nur als die Wiedervereinigung des Entfremdeten. Entfremdung setzt ursprüngliches Einssein voraus.“

Die Vorstellung des ursprünglichen Einssein der Menschen muss mit dem wieder zueinander finden aller Menschen verbunden werden und dafür braucht es nach Tillich und ich gehe mit ihm da sehr gerne mit, nicht nur Liebe, sondern auch Macht und Gerechtigkeit. Denn „machtlose Liebe“ bewirkt nichts, und „lieblose Macht“ bewirkt nichts gutes! Der wichtige Aspekt finden wir aber in der Gerechtigkeit und dort stellt uns Paul Tillich drei Daseinsformen der Gerechtigkeit vor, von denen vor allem die dritte gerne vergessen wird:

1. Die Ansprüche aller Menschen an Güter und Versorgung erkennen -> Chancengerechtigkeit

2. Eine zumessende Gerechtigkeit, die sich in einer austeilenden Gerechtigkeit (Bsp. Bestimmten Lohn für bestimmte Arbeit in einem bestimmten Zeitraum) und ausgleichender Gerechtigkeit (Bsp. Progressive Besteuerung höherer Einkommen) seinen Ausdruck findet.

3. Schöpferische Gerechtigkeit mit ihren drei Daseinsformen: Zuhören, Schenken und Vergeben. Gerade die letzte wird häufig vergessen, aber gerade diese kann im Zusammenspiel mit den beiden anderen, wie wir es z.B. an der Arbeit der Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika sehen konnten, ein erneutes Blutvergießen verhindern und damit einen Beitrag zu einem friedlichen Wandel leisten.

Ich träume daher von einer Welt, in der wir jedem Mensch seine individuelle Verbundenheit mit einer geistigen, einer politischen und einer persönlichen Heimat zubilligen, aber diese nicht als Antithesen nebeneinander betrachten, sondern die Synthesen immer wieder versuchen.

-> Das Element des Zuhörens drückt sich dann darin aus, dass man einen Dialog mit anderen Menschen, die anderen Heimaten haben, nicht ablehnt.

-> Das Element des Schenken drückt sich darin aus, dass man sich beschenken lassen kann, durch verschiedene Impulse, dass man selbst schenkt, in dem man Impulse gibt und das man versucht dieses Geben und Nehmen zu sehr in eine Seite zu lenken.

-> Das Element des Vergebens drückt sich darin aus, dass man auch wenn man sich durch seine unterschiedlichen Herangehensweisen, Meinungen, Handlungen usw. in die Haare bekommen hat, den anderen nicht sein Menschsein, seine Identität und vor allem nicht seine Heimaten in Frage stellt, denn das führt nur zu einer stetigen Entfremdung, die schwer wieder zueinander finden wird.

Zum Abschluss dieser Rede will ich noch Jakob Augstein zitieren, der in einer aus meiner Sicht sehr bemerkenswerten Kolummne unter dem Titel: „Die Jesus-Alternative“ folgende Sätze aufgeschrieben hat:
In der Krise wird deutlich, dass Kapitalismus und Neoliberalismus keine Hoffnung bereithalten. Es sind dystopische Ideologien. Im säkularen Zeitalter wäre es die Aufgabe der Politik, ihnen mit der Kraft der Utopie zu begegnen. Aber die Politik versagt."
und der Schlusssatz lautete: "Nur das Radikale ist realistisch.

Also lasst uns mit der radikalen Idee der Einheit alles Leben auch dem nationalen Gehabe unserer Regierenden entgegentreten und uns zu Diener unseres Sein-Selbst machen. Im Bewusstsein dieses Gedanken der Einheit alles Lebens können wir den Weg bahnen zu einer Versöhnung aller Menschen und damit zur wirklichen radikalen Veränderung unserer doch so schönen Welt mit diesen vielen tollen Menschen und kreativen Dingen.

 „Nicht im Reden, nicht im Denken, sehe ich seine Größe, nur im Tun, im Leben“ (Hermann Hesse)

Ich schließe mit den herzlichsten Wünschen an einen jeden / an eine jede von euch!
Euer Visionär92

Ps: Wer Rechtschreibfehler oder sonstige sprachliche Fehler findet, kann gerne die Korrektur in einem Kommentar anmahnen.