Liebe Zeitgenossinnen und
Zeitgenossen!
Warum wird uns Kritikern des
derzeitigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem eigentlich vorgeworfen eine
Utopie zu entwickeln, wenn die eigentliche Utopie das derzeitige Wirtschafts-
und Gesellschaftssystem selbst ist?
Es wird uns (ja in diesem Fall
benutze ich das Wort uns, da es viele sind) vorgeworfen, dass wir zu utopische
Ziele haben, dass wir vielleicht höchstens auf dieses Ziel hinarbeiten können,
aber es nie erreichen werden. Die folgende Meinung ist sehr weit in die Köpfe
vor allem „westlich“ sozialisierter Menschen eingedrungen: Es sei eine Utopie, was
Kritiker des derzeitigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems (Kapitalismus),
aber auch unserer Regierungsformen (Autokratien, Demokratien, Regimehybriden)
an Vorschlägen entwickeln.
Eine Utopie ist nach der
Wortbedeutung ein Nicht-Ort, also
etwas nicht existentes und genauso
wird mit diesen als Utopien bezeichneten Vorschlägen umgegangen. „Ach, das ist
ja zu utopisch, da muss ich nichts machen, damit muss ich mich nicht
beschäftigen, geschweige denn etwas in meinem Leben verändern.“ Diese
Einstellung führt einerseits bei aktiven Weltgestaltern zu Resignation,
Depression und Verzweiflung und bei passiven dazu, dass Wahlen zu Parlamenten
nicht ernst genommen werden, dass auf das Wahlrecht verzichtet wird und jegliche
eigene Partizipationsmöglichkeit im Staat, in der Zivilgesellschaft, in wirtschaftlichen
Prozessen, aber vor allem im eigenen Leben (z.B. im Konsumverhalten) nicht
genutzt wird.
Kommen wir zurück zur Utopie, dem
sogenannten „Nicht-Ort“: Ist die Vorstellung, dass wir auf einer endlichen Welt
leben
und dennoch am besten alle wirtschaftlich wachsen
sollen, denn das führe zu Wohlstand für alle,
nicht eine unglaubliche Utopie?
Aber dennoch ist dies die Maxime,
nach der wir uns in unseren Staaten des Westens (und als ein Bürger eines
solchen Staates schreibe ich Ihnen gerade) richten. Wir sagen: „Mehr Wachstum,
mehr Rohstoffsicherung, mehr Produktion usw.“ ohne zu bedenken, dass mehr
Wachstum, mehr Rohstoffe, mehr Produktion bei uns bedeuten, dass Ressourcen bei
uns und an anderen Orten verbraucht werden. Was haben denn eigentlich „deutsche
Unternehmen“ für ein Recht, Ressourcen anderer Staaten zu verschwenden und
Umweltschäden anzurichten, die leider in viel zu vielen Fällen irreparabel
sind?
Das westliche „Entwicklungs- und
Fortschrittmodell“, was in Europa und Amerika seit dem 19.Jahrhundert durch die
immer stetige Industrialisierung entstanden ist, wurde durch Kolonialismus und
Imperialismus in die ganze Welt exportiert, ohne auch die grundlegenden
Menschenrechte mit zu exportieren. Denn es wurde bis weit ins 19.Jahrhundert
auf Sklaverei gesetzt. Außerdem schuf man menschenunwürdige
Abhängigkeitsverhältnisse in der Folge. Man zerstörte einheimische Märkte für
den eigenen Bedarf der Industrie und der eigenen Bürger. Es wurde die Umwelt
nur noch für Ressourcensicherung erkundet und der Raubbau an der Natur begann
seinen Siegeszug in die Handlungsprinzipien nahezu aller Unternehmen.
Die vielen konkreten
Praxisbeispiele in Völkern, Stämmen, Familienverbünden und anderen
Lebensgemeinschaften des „Wenn alle füreinander sorgen, ist für alle gesorgt“ wurden unterdrückt durch die Einführung von
Geld als alleiniges etabliertes Tausch- und Investitionsmittel und vor allem durch
die wachsende Militarisierung von Gesellschaft und Staat durch stetig wachsende
Waffenproduktion und Waffenexporte. Ab da begannen auch in vielen Gebieten die
gewaltsamen Konflikte erneut zuzunehmen und vor allem ein anderes schlimmeres
Level zu erreichen (siehe z.B. den Ersten und Zweiten Weltkrieg). Es ging auf
einmal und es geht immer noch um Staatsgrenzen, um ethnische Sortierung von
Menschen, um mehr oder weniger haben der eigenen Nation / des eigenen Volks, um
Zugänge zu Ressourcen und es wurde alles dem Idealbild des „homo oeconomicus“
untergeordnet. Über einen langen Zeitraum gewachsene oder sich als Reaktion
entwickelte Konzepte (wie z.B. „Ubuntu“
/ Xhosa, Südafrika; „Schalom“; „Ehrfurcht vor dem Leben“ / Albert
Schweitzer) wurden und werden dabei wissentlich ignoriert.
Zum „homo oeconomicus“: Ein Mensch, der seinen persönlichen Vorteil
sucht, der nicht an den Mitmenschen denkt, der sich nicht einer Moral oder
Religion mehr unterordnen will, außer am ehesten der Religion des Geldes und
der Profitmaximierung und der sein Leben nicht in Hinsicht auf nachfolgende
Generationen lebt.
Nach dem Ende des Kolonialismus
endete aber nicht die Vorherrschaft von ausländischen Unternehmen über
Ressourcen eines Staates. Es wurde zwar nicht mehr für die Wirtschaft der Kolonialmacht
produziert, aber angeblich für einen gemeinsamen Weltmarkt. Dieser Weltmarkt
ist aber wiederum nur eine Chiffre für die Produktion für einen übersättigten
Markt in Europa und Nordamerika, der dennoch weiter wachsen will und dabei so
viel überflüssigen Überfluss hinnimmt. Sie können sich das leisten, da das
Geldsystem in ihren Händen ist und sie auch die meisten weltweiten
Institutionen kontrollieren. Wir sehen also den dringenden Handlungsbedarf an
dieser Utopie!
Welche Zielvorstellung (Vision) können wir ihr entgegenstellen?
Für mich heißt diese Vision: Ein
Aufbau einer sozialen Infrastruktur für alle. Eine direkte und kostenlose, da
gemeinschaftlich finanzierte, Absicherung eines jeden Menschen
Grundbedürfnisse. Darunter fallen bei mir die ausreichende kostenfreie Versorgung
mit Nahrungsmitteln und sauberem Trinkwasser, die kostenfreien Zugänge zu
Bildung, Gesundheit und regionaler Mobilität und ein angstfreier kostenloser
Wohnraum für jeden. Die Ausformung dieser sozialen Infrastruktur ist jeder
lokalen und regionalen Einheit selbst überlassen. Es gibt kein richtig oder
falsch, es gibt nur das Machen oder Nichtmachen. Es ist nicht die Förderung
einer mörderischen Infrastruktur der derzeitigen Ökonomie des Todes. Es ist die
Förderung des Konzepts eines „Guten Zusammenlebens“ mit mehr Lebensqualität für
alle und nicht falsch verstandenem Wohlstand für Einzelne.
Gerade die Absicherung der
Grundbedürfnisse würde zu einer Befreiung aus so vielen Zwängen führen. Das
heißt, wir könnten ökologische Nachhaltigkeit nicht nur großen Prestigeprojekten
überlassen, sondern selber mit gutem Beispiel vorangehen, durch Subsistenz
(Eigenproduktion) und Suffizienz (Eigener Verbrauch). Nur mehr Effizienz, das
unsere Ressourcen noch länger halten, hilft uns nicht. Wir brauchen ein
Gesund-Schrumpfen der Industrie in den Ländern des globalen Nordens („Westen“)
und wir brauchen ein gesundes lokales und regional vernetztes Wachsen der
sozialen Infrastruktur.
Sie, als Leserinnen und Leser des
Textes, können also sehen, dass ich nicht gegen Wachstum als solches, sondern
gegen das mörderische Wachstum unseres derzeitigen Wirtschafts- und
Gesellschaftssystem bin. Der menschliche Körper ist dafür das beste
Anschauungsmaterial. Er wächst von Geburt an bis zu einem Zeitpunkt, an dem man
ihn als erwachsen bezeichnet. Also dem Stand an dem der Körper sich selbst
trägt und sich selbst genügt, da er nur noch ersetzt bei Bedarf. Nur die
Krebszellen sind sich selbst nicht genug, sie wachsen weiter, befallen andere
Zellen und zerstören somit unseren Organismus. Das gleiche machen wir mit
unserem derzeitigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Wir haben viele
Krebszellen, angefangen von Stromgewinnung durch Kohle und Uran über
Massentierproduktion hin zu unserer gigantischen Waffen- und
Rüstungsproduktion. Diese gehören besser ab heute abgebaut als weiter
aufgebaut. Dazu kommen noch eine riesige Automobilindustrie, die fiktiven Bedarf schafft (Stichwort: Leasing, Firmenwagen, „Abwrackprämien“) oder viele
Unternehmen, die in ihren Produkten des täglichen Bedarfs eine geplante Lebensdauer
einbauen (Stichwort: „Geplante Obsoleszenz“).
Wir werden in unseren Staaten des
globalen Nordens dann mit unseren staatlichen, sozialen Netzen und Zuschüssen
ruhiggestellt. Es findet ein gewisser Ausgleich der ungleich verteilten
erwirtschafteten Gewinne durch Steuern statt. Aber das alles bedient nur eine
bevormundende ausgleichende Gerechtigkeit, die sich nicht an dem menschlichen
Anspruch auf ein gutes Zusammenleben orientiert, sondern auf das
konkurrenzgetriebene bessere Leben für Einzelne. Auch die so häufig gewünschte
austeilende Leistungsgerechtigkeit: „Wer mehr arbeitet, soll mehr bekommen. Wer
mehr Verantwortung hat auch.“ wird mit Füßen getreten bzw. schafft Mauern in
den Gesellschaften, die nicht mehr überwunden werden.
Wir brauchen mehr schöpferische
Gerechtigkeit, in der wir erkennen, dass alle Menschen etwas beitragen
können. Dass wir ihnen und ihren Bedürfnissen, aber auch ihren Möglichkeiten
der Mitwirkungen zuhören müssen. Dass wir ihnen Zeit und Raum schenken sollten,
worin sie sich entfalten und sich zu aktiven Mitgestaltern unserer Welt
entwickeln können. Und dass wir ihnen auch ihre Fehler verzeihen und vergeben,
dass wir uns nicht aufspielen sollten, als wären wir der Richter über diese.
Natürlich gehören Verletzungen des Rechts, vor allem auch Menschenrechtsverletzungen
vor ein Gericht. Aber dieses Gericht sind nicht wir im alltäglichen Umgang
miteinander, sondern ausgewählte Menschen, die auf diese Aufgabe vorbereitet
werden.
Gerade im Hinblick auf die vielen
bewaffneten Konflikte in der Welt wird mir ganz schlecht, da dort mit von uns
produzierten und exportierten Waffen die Sorge um die eigene und
gesellschaftliche Zukunft einer Gruppe ausgetragen wird. Es geht um den Kampf
um Ressourcen, um die Macht über die Verwaltung dieser zu entscheiden und um
möglichst lange am Kuchenbuffet der Welt plündern zu dürfen. Dort wird nur auf
den eigenen Vorteil geschaut. Die Ökonomie des Todes weiter verschärft und
nicht gesehen, dass es auch so etwas geben kann wie eine Ökonomie des Lebens.
Das solidarisch füreinander
Sorgen in lokalen solidarischen Ökonomien zum Beispiel kann ein Weg in eine
ganz andere Zukunft weisen. Die gemeinsame Zielperspektive einer Absicherung
von jedes Menschen Grundbedürfnissen kann die innere Bereitschaft jedes Einzelnen
stärken, sich an dem dringend erforderlichen Transformationsprozess unseres
Wirtschafts- und Gesellschaftssystems zu beteiligen. Und nicht zuletzt wächst
mit einer wertschätzenden schöpferischen Gerechtigkeit, die eine Daseinsform
der Liebe ist, die auch das Getrennte wiedervereinigt, auch eine Vorstellung
von einer besseren Zukunft für alle.
Daher rufe ich Sie auf, liebe
Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, diesen Text mit zu unterzeichnen und noch in
diesem Jahr anzufangen mit dem bewussten Handeln in dem Sinne dieses Aufrufes.
Es grüßt alle,
Leserinnen und Leser, ganz herzlich,
Frederik Grüneberg
(Über Feedback und Nachfragen jeglicher Art freut sich der Autor!)
Mitunterzeichner_innen:
Elena Grüneberg
Leo Mayatepek
Benigna Grüneberg
Kathi-S. Langner
Dr. Carsten Grüneberg
Jörg Weickert
Julian Bindewald